«Eine Erfahrung, die ich jedem Städter ans Herz legen würde»

Bericht im Walliser Boten vom 3.8.2020

Normalerweise ist es Thomas de Courten, der als Chef in seinem Betrieb sagt, was läuft. Der Baselbieter Nationalrat ging nun aber für einen Monat offline und heuerte in der Täschhütte an, wo Hüttenwartin Renata Schmid den Tarif durchgibt. Ein Perspektivwechsel in mehrerlei Hinsicht.

Martin Schmidt 03.08.2020, 21:00 Uhr
 

Warum ein Unternehmer und Nationalrat eine einmonatige Auszeit nimmt, um in einer SAC-Berghütte zu arbeiten? Davon habe er lange Zeit geträumt, sagt Thomas de Courten und führt aus, «Ich war früher sehr oft in den Bergen unterwegs und habe in Berghütten übernachtet – sehr oft auch im Wallis. Und jede Tour endete mit dem Abstieg ins Tal.» Dabei sei bei ihm immer wieder die Frage aufgekommen, wie es wohl wäre, einmal für längere Zeit in der Höhe zu bleiben? In einer SAC-Hütte zu leben, hoch oben in der dünnen Luft. Das Hüttenleben hautnah zu erfahren, indem er für einige Zeit auf engem Raum Teil eines kleinen Teams wird. Und dabei Einblicke darüber zu erhalten, was alles dahintersteckt, damit Wanderer und Gipfelstürmer in einer Berghütte verpflegt und beherbergt werden können. Als er mit seiner Partnerin im letzten Sommer in der Täschhütte halt machte, packten die beiden die Gelegenheit beim Schopf und vereinbarten mit Hüttenwartin Renata Schmid ein Engagement für den Sommer 2020.

 

Lange Arbeitstage. Thomas de Courten beim Gäste-Check-in. Quelle: foto pomona.media

Bevor das einmonatige Abenteuer Anfang Juli beginnen konnte, musste de Courten aber noch einiges vorbereiten. Als Chef einer eigenen Kommunikationsagentur mit bis zu sechs Mitarbeitern, als SVP-Nationalrat für den Kanton Basel-Landschaft und als Mitglied mehrerer Verwaltungsräte von Firmen, die gemeinsam über 600 Mitarbeiter beschäftigen, könne man unmöglich für längere Zeit wegbleiben – ohne das Chaos ausbricht. Zumindest hätte er das immer gedacht, relativiert de Courten auf der Terrasse der Täschhütte sitzend und lacht. Gerade auch in dieser Hinsicht sei das Hüttenabenteuer eine spannende Erfahrung gewesen. «Die Welt dreht weiter, auch ohne mich. Am Ende ist jeder ersetzbar. Diese Einsicht macht es einem vielleicht auch einfacher, einmal etwas loszulassen, weiterzugeben oder laufen zu lassen, ohne ständig korrigierend eingreifen zu wollen», führt de Courten aus.

Zur Person

Aufgewachsen ist der 54-jährige Thomas de Courten in Oberwil im Agglomerationsgürtel von Basel. Der studierte Betriebsökonom war neun Jahre Direktionsmitglied der Wirtschaftskammer Baselland und baute danach eine eigene Kommunikationsagentur auf.  Er ist Vater von drei Kindern und wohnt und lebt heute in Rünenberg. Seit Herbst 2019 vertritt er den Kanton Basel-Landschaft für eine dritte Periode im Nationalrat.

De Courten ist ein bekanntes Walliser Geschlecht, dessen Stammbaum mit Antoine de Courten von Brig, der im Jahr 1432 amtierender Landeshauptmann war, beginnt. Thomas de Courten ist Burger von Geschinen und Siders und absolvierte seinen Militärdienst vorwiegend im Tessin und im Wallis.

Das einmonatige Hüttenengagement war für ihn auch ein Frontenwechsel. Sonst oft in einer koordinierenden, strategischen Funktion, war er für einmal Befehlsempfänger. Ein Rädchen in einem kleinen Team von vier bis fünf Angestellten, mit denen die Hütte in der Hochsaison betrieben wird. Ein Team, in dem jeder alles macht. Und machen muss. Ansonsten würde es nicht funktionieren. Kochen, abwaschen, putzen, servieren, vorbereiten, Gäste empfangen, Gäste betreuen und noch einiges mehr. «Ich wusste, dass es streng wird», sagt de Courten. ein Teammitglied muss um 3 Uhr morgens aufstehen, um jene Tourengänger aufzuwecken, die nach einem kurzen Frühstück besonders früh loswollen. Die übrigen starten um sechs Uhr in den Arbeitstag, der mit einigen kurzen Pausen bis um 22 Uhr am Abend dauert.

Der Corona-Sommer schafft für diesen Sommer ausserordentliche Rahmenbedingungen. «Der Aufwand ist grösser als sonst», hält Schmid fest. Auf der anderen Seite fallen die Einnahmen deutlich tiefer aus. Denn von den sonst knapp 80 Schlafplätzen können bei Einhaltung der Corona-Massnahmen je nach Gruppenkonstellation deutlich weniger Betten belegt werden, wie die Hüttenwartin erzählt. Die Gäste würden es aber sehr schätzen, dass die Hütte offen ist, und dies bereits seit Mitte März.

Der Austausch mit diesen Gästen ist für de Courten eines der Highlights der Arbeit. Statt wie sonst schwergewichtig über politische Themen zu diskutieren, tauscht er sich auf der Täschhütte über Bergwelten, Alpinsport oder die Motivation der Gäste aus. Themen wie die Überfremdung der Schweiz, Überbrückungsrente, Bürokratieabbau oder auch das Epidemiegesetz, die ihn als Nationalrat sonst beschäftigen, sind in weit im Hintergrund. «Ganz bewusst», sagt er. «Mich interessiert, was die Gäste in die Höhe treibt, wie sie ihre Zeit hier oben wahrnehmen oder was für Gedanken ihnen hier oben durch den Kopf gehen?» Im Gespräch mit Gästen aus dem ganzen Land, aber auch aus England, Ungarn, Deutschland, Österreich, Italien werden Informationen – abseits vom gewohnten Medienalltag - zum Tauschgut. «Hier oben sind sie die Währung. Von den Gästen erfahren wir, was im Talgrund oder sonst läuft.» Dass Sion gegen YB verloren hat und die Berner erneut Meister sind, habe er nur den Gästen sei Dank mitbekommen.

 

Bergpanorama. Der beeindruckende Ausblick von der Täschhütte. Quelle: foto pomona.media

Mit dem eingeschränkten Internetzugang ist er aber insgesamt stark von seiner Alltagswelt abgekapselt. Das sei mit ein Grund für den temporären Tapetenwechsel gewesen. «Für einmal offline! Nicht rund um die Uhr über E-Mail oder telefonisch erreichbar zu sein», erläutert de Courten. Sich der immer schneller getakteten Welt für einen Augenblick entziehen. Eine Welt, die aus de Courtens Sicht für einen immer schnelllebigeren Konsum steht. «Das ist in einer Berghütte ganz anders. Nachhaltigkeit wird hier gelebt, nicht nur gepredigt. Das öffnet einem auch wieder die Augen für Dinge, die sonst im Alltag oft für selbstverständlich genommen werden. Hier versucht man, wann immer möglich, Dinge weiterzuverwerten. Und man hilft sich gegenseitig. Mit den einfachen Mitteln, die verfügbar sind», so de Courten.

 

Die Täschhütte ist ein beliebter Ausgangspunkt für Touren. Quelle: foto pomona.media

Er habe gesehen, was es alles brauche, um eine solche Berghütte am Laufen zu halten: Sei es vom Service, dem Verständnis für die touristische Komplexität, der Organisation der Materialtransporte oder auch der ganze technische Aspekt, damit die Küche und alles funktioniert. «Das ist sicher eine Erfahrung, die zu erleben ich jedem Städter ans Herz legen würde», hält de Courten fest. Ein solcher Perspektivenwechsel könne sicherlich nicht schaden. Damit die Co-Existenzen von Stadt und Land, Bergwelt und Flachland, oder auch zwischen verschiedensten Kantonen gegenseitig befruchtend wirken. «Nur gemeinsam kann man etwas erreichen», sagt er und merkt lachend an, dass er damit wohl auch sein Wort zum 1. August gesprochen habe.

Die Natur bei der Täschhütte hat bei de Courten Eindruck hinterlassen: Bei einem längeren Aufenthalt erlebe man die Veränderungen von Jahreszeiten und Wetter, den schmelzenden Schnee, blühende Blumen und die Lichtspiele, die über die Felsen und Grate tänzeln. Trotzdem kehre er am Ende des Hüttenabenteuers gerne wieder in seinen Alltag zurück. Es sei eine tolle Erfahrung gewesen. Er will sich aber keineswegs als Aussteiger verstanden wissen, der sein bisheriges Leben satthabe. «Ich habe noch zahlreiche Ideen und Pläne, die ich realisieren will», sagt er. Und für den Moment warte sicher bereits ein Berg Arbeit auf ihn. Die Leute, die von der Arbeit auf einer Berghütte träumten, hätten oft ein falsches Bild davon, so die Hüttenwartin. Die Tätigkeiten seien oftmals repetitiv. Das mache die Tage zusätzlich lang und sei nicht jedermanns Sache. Auch für Thomas de Courten dürfte der Respekt vor der Arbeit in den Bergen mit dem Engagement weiter angewachsen sein.