Je dichter das Netz der sozialen Absicherung, desto anfälliger wird das System für Profiteure und dreisten Missbrauch. Wir haben reichlich Erfahrung damit. Bis vor etwa fünfzehn Jahren wollte man das Problem noch gar nicht wahr haben. Sozialversicherungsmissbrauch wurde von vielen politischen Verantwortungsträgern gar in Abrede gestellt. Ich kann mich noch gut erinnern, dass bekannte Politiker öffentlich in den Raum stellten, dass dies alles arme und kranke Menschen seien, die Hilfe bräuchten. Unter ihnen befänden sich keine Betrüger.
Als wir SVPler auf die Barrikaden gingen, den Sozialversicherungsmissbrauch anprangerten und wagten, die Missstände auch exemplarisch anzusprechen, wurde mancher, der für Redlichkeit gegenüber den ehrlichen, braven Prämien- und Steuerzahler einstand, als asozial gebrandmarkt und hart angegriffen. Dennoch kamen dank dieses politischen Drucks unzählige, zum Teil krasse Missbräuche ans Tageslicht. Diese bewegten sich in der Grössenordnung von bis zu 5 Prozent der ausbezahlten Leistungen, also jeder zwanzigste Versicherungsfall. Das hat aufgerüttelt.
In der Folge waren Observationen durch versierte und geschulte Fachpersonen zur konsequenten Verfolgung von Versicherungsmissbrauchs auch völlig unbestritten. Die Missbrauchsquoten gingen zurück. Mutmassliche Erschleicher von ungerechtfertigten Leistungen wussten, dass sie damit rechnen mussten, erwischt zu werden - und überlegten es sich wohl zweimal, ob sie betrügen sollten. Der präventive Charakter dieser Praxis war offensichtlich.
Bis zu jenem denkwürdigen 18. Oktober 2016, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand, Überwachungsmassnahmen durch eine Versicherung seien nicht zulässig, weil in der Schweiz die gesetzliche Grundlage dazu fehle. Nur Tage später stellten private Versicherer und diverse Sozialämter die Kontroll- und Überwachungsmassnahmen ein. Konsequenz bei der Suva, als Beispiel: Im Jahr 2017 konnte sie ohne verdeckte Observationen noch 12,5 Millionen Franken an ungerechtfertigten Leistungsbezügen verhindern. Im Vorjahr zuvor, als Observationen noch zulässig waren, waren es knapp die Hälfte mehr, also rund 18 Millionen Franken gewesen.
Ausnahmsweise reagierte die Bundespolitik. Und lobenswerterweise sogar rasch. In seltener Zielstrebigkeit erarbeiteten die Räte eine Ergänzung des Sozialversicherungsrechtes. Die Debatten waren hart, führten aber schliesslich zu einem Kompromiss, der ausgewogen ist. Er ermöglicht die Fortsetzung der ursprünglichen Praxis. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die Hürden für den Einsatz von Observationen bleiben sehr hoch. Es braucht einen konkreten, belegbaren Verdacht. Der Einsatz muss bewilligt werden. Die Fachleute müssen geschult sein. Sie werden eng kontrolliert. Technische Hilfsmittel zur Standortbestimmung müssen zusätzlich richterlich bewilligt werden. Der Einsatz von Bild- und Tonaufnahmegeräten ist klar eingegrenzt auf Orte, die allgemein zugänglichen und frei einsehbar sind.
Das missbräuchliche Erschleichen von Versicherungsleistungen ist im groben Stil asozial. Es treibt die Prämien für alle ehrlichen Versicherten in die Höhe. Sie sind die Leidtragenden von Versicherungsbetrügereien. Wer dagegen das Referendum ergreift, schützt einmal mehr die Täter, statt die Opfer.